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Medizin

Jedes dritte Antibiotikum ist unnötig

Falsche Verschreibungen grassieren vor allem in der Erkältungszeit

Die meisten Erkältungen sind Virus-Erkrankungen - gegen sie helfen Antibiotika nicht © freeimages

Fast jedes dritte Antibiotikum in Deutschland wird unnötig und falsch verschrieben. Das Medikament wird gegen Beschwerden verordnet, gegen die es nicht wirkt. Das zeigt ein Report der Krankenkasse DAK. Besonders alarmierend: Vor allem bei Älteren verschreiben Ärzte oft unnötigerweise Reserve-Antibiotika – die Mittel, die eigentlich als letzte Waffe gegen resistente Erreger vorgesehen sind. Als Folge drohen auch sie ihre Wirkung zu verlieren.

Die Erkältungssaison beginnt – und mit ihr die Zeit der überflüssigen Verschreibungen von Antibiotika. Denn viele Patienten erwarten geradezu von ihrem Arzt, dass er ihnen ein Antibiotikum verschreibt. Von den mehr als 3.000 Befragten der DAK-Studie erwarten drei Viertel eine Antibiotika-Verordnung, wenn Erkältungsbeschwerden nicht von selbst besser werden. Ein Viertel wünscht ein Rezept, um schnell wieder fit für den Job zu sein.

Falsche Erwartungen und Unwissen

Der Grund dafür ist meist Unwissen: Rund 40 Prozent der Bevölkerung ist der Meinung, Antibiotika würden auch bei Virusinfekten wirken. Dabei dienen die Medikamente nur der Behandlung bakterieller Infektionen. „Erkältungen werden aber in 80 bis 90 Prozent aller Fälle von Viren verursacht, ohne dass es eine zusätzliche bakterielle Besiedlung gibt“, sagt der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske. „Antibiotika schaden in solchen Fällen mehr als sie nutzen. Sie können Nebenwirkungen verursachen und verschärfen das Risiko der Resistenzbildung.“

Die Erwartungen der Patienten wirken sich auch auf die Ärzte und deren Verschreibungspraxis aus: Vor allem bei Infektionen der oberen Atemwege, Bronchitis oder Husten wurden entgegen der Behandlungsleitlinien häufig Antibiotika verschrieben. Fast 30 Prozent der Antibiotika-Verordnungen im vergangenen Jahr waren mit Blick auf die Diagnose fragwürdig.

„Wir brauchen ein kritisches Bewusstsein bei den Ärzten im Umgang mit Antibiotika“, so Glaeske. Wenn Patienten in der Praxis besser aufgeklärt würden, fühlten sich Mediziner gar nicht erst genötigt, Zugeständnisse zu machen, die therapeutisch gar nicht nötig sind. Auch den Behandlungserfolg ist Aufklärung entscheidend. Denn wenn ein Patient zu früh mit der Einnahme der Antibiotika aufhört, dann werden nicht alle Bakterien getötet und die Wahrscheinlichkeit für Resistenzbildungen steigt.

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Multiresistente Bakterien der Art Staphyoloccus aureus (MRSA) fordern jährlich tausende Tote allein in Europa © CDC

Alarmierend leichtsinniger Umgang Reserve-Antibiotika

Die Über- und Fehlversorgung mit Antibiotika hat weltweit bereits dramatische Folgen: Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen und bedrohen zunehmend die Gesundheit von Patienten im Krankenhaus. Damit werden Infektionen wieder zur tödlichen Gefahr, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Besonders alarmierend: Patienten der Generation 60 plus bekommen häufig Wirkstoffe verschrieben, die als Reserveantibiotika gelten. Sie sollen eigentlich nur dann zum Einsatz kommen, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken.

„Selbst gegen Reserveantibiotika gibt es aufgrund des unkritischen Umgangs mittlerweile Resistenzen“, erläutert Frank Kipp, leitender Krankenhaushygieniker am Universitätsklinikum in Münster. „Wenn sich solche Keime im Krankenhaus ausbreiten, können sie zur Lebensgefahr für Patienten mit geschwächtem Immunsystem werden.“ Immerhin sterben nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jährlich 7.500 bis 15.000 Patienten an Krankenhaus-Infektionen.

(DAK, 29.10.2014 – NPO)

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