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Medizin

Summen hilft gegen Tinnitus

Neue Musiktherapie hilft Gehirn beim "Abgewöhnen" der lästigen Ohrgeräusche

Tinnitus - Phantomgeräusch im Ohr © freeimages

Das Ohrgeräusch einfach wegsummen: Eine neue Musiktherapie könnte Tinnitus-Patienten künftig besser helfen, ihre lästigen Ohrgeräusche loszuwerden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Therapien müssen dabei die Patienten selbst aktiv werden und Töne summen. Wie eine Studie nun belegt, lindert das nicht nur den Tinnitus schon nach kurzer Zeit – auch im Gehirn lassen sich nachhaltige Veränderungen nachweisen.

Es klingelt, rausch oder piept – rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einem Tinnitus. Diese ständigen Ohrgeräusche sind nicht nur unangenehm und können die Betroffenen schwer belasten, sie sind auch nicht einfach wegzukriegen. Denn gemeinerweise entsteht das lästige Rauschen oder Piepen nicht im Ohr, sondern letztlich im Gehirn.

Häufig entsteht der Tinnitus, weil die Betroffene bestimmte Frequenzen plötzlich weniger gut hören können. „Man kann sich das wie eine Klaviertastatur vorstellen, bei der eine Taste fehlt, denn das menschliche Gehör ist nach Frequenzen geordnet,“ erklärt Biologe Christoph Krick der Saar-Universität in Homburg. „Da das Gehirn den fehlenden Ton erwartet, aber nicht empfängt, versucht es diesen – analog zu einem Verstärker – lauter zu drehen. Die Folge kann eine Rückkopplung sein, die durch die Selbstanregung als Phantomgeräusch wahrgenommen wird.“

Rauschen wegsummen

Soll der Tinnitus weggehen, muss daher das Gehirn quasi umtrainiert werden. Verschiedenen Therapien versuchen dies beispielsweise durch sogenanntes weißes Rauschen oder auch durch Musik, aber auch durch Verhaltenstherapie.

Forscher des Deutschen Zentrums für Musiktherapie (DZM) in Heidelberg haben eine Neuro-Musik-Therapie entwickelt, die auf einer Mischung aus psychosozialer Beratung, Stressmanagement und einer speziellen Musik-Therapie aufbaut. In letzterer lernen die Betroffenen, ihre Ohrgeräusche buchstäblich wegzusummen.

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Gehirn soll Frequenzen wieder wahrnehmen

Das Prinzip dahinter: Beim Summen erzeugt die Stimme automatisch auch Obertöne, von denen einige die Tinnitusfrequenzen treffen. „Die Tinnitus-Patienten können über das Nachsummen und Singen von Grundtönen zur meist höheren Tinnitus-Frequenz den fehlenden Ton im Gehirn rekonstruieren“, erläutert Krick. Das soll das Gehirn dazu bringen, die im Gehör fehlenden wieder vermehrt wahrzunehmen und dadurch ihre fehlgeleitete Übersteuerung dieser Frequenzen rückgängig machen.

Wie gut die Tinnitus-Therapie wirkt und was sich dabei im Gehirn verändert, haben Krick und seine Kollegen nun in einer Studie überprüft. Dafür unterzogen sich Probanden mit Tinnitus und gesunde Vergleichsteilnehmer einer intensiven Kompaktversion der Therapie, die nur fünf Tage dauert. Die Vorgänge im Gehirn der Teilnehmer prüften die Forscher dabei mit einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT).

Denkzellen nachgewachsen

Das MRT zeigte: Schon nach fünf Tagen haben sich die Gehirnstruktur aller Probanden verändert – egal ob sie an einem Tinnitus litten oder nicht. Bei Tinnitus-Patienten reorganisierte der Lernfortschritt während der Musiktherapie jenes Hirngewebe im Gehörkortex, das aufgrund der Tinnitus-Störung zuvor abgebaut wurde.

„Bisher war man davon ausgegangen, dass Lernfortschritte nur die Aktivitäten im Gehirn verändern, also quasi eine neue Software aufspielen“, sagt Krick. „Wir konnten jedoch nachweisen, dass schon nach wenigen Tagen die Denkzellen, die den Höreindruck verarbeiten, nachgewachsen sind. Es wurde sozusagen die Festplatte des Gehirns umgebaut und zwar dauerhaft.“ Die Experten sehen hier den Grund für den nachhaltigen Erfolg der Therapie: „Der Lernvorgang hatte sich offensichtlich in das Gehirn ‚eingebrannt‘“, stellt Krick fest.

Die positiven Effekte waren auch die Probanden spürbar: 80 Prozent empfanden nach dieser Behandlung den Tinnitus nicht mehr als quälend, bei acht Prozent verschwand er ganz. „Bei den Patienten, die den Therapiefortschritt als besonders erfolgreich wahrgenommen haben, waren auch die stärksten Veränderungen im Gehirn zu beobachten“, berichtet Krick. Das Erstaunliche dabei: Die Wirkung trat schon nach den fünf Tagen der Kompakttherapie ein – und blieb auch drei Jahre danach noch erhalten. (Frontiers in Neuroscience, 2015; doi: 10.3389/fnins.2015.00049)

(Universität des Saarlandes, 25.03.2015 – MAH)

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